Bildung ist Bürgerrecht – darin besteht kein Zweifel. Der Wille, mehr Hochschulen zu bauen, zeigt jedoch in die falsche Richtung, mahnt unsere Autorin. Stattdessen sollten die Missstände unser bestehenden Hochschulen beseitigt werden.


Das föderalistische Bildungssystem hat eine lange Tradition in Deutschland – dazu gehören auch die Universitäten und Hochschulen. Bereits in der Weimarer Republik und nach dem zweiten Weltkrieg wieder haben die Bundes- und Landesregierungen die Hochschullandschaften dezentral verwaltet. In den 50er und 60er Jahren wurden Instrumentarien in der Hochschulpolitik und der Studienfinanzierung ins Leben gerufen, die wir heute noch kennen, wie beispielsweise den Vorläufer des BAföGs. Die Kultusministerkonferenz begann in den 50er Jahren in der Bundesrepublik und sollte der Homogenisierung der Hochschullandschaft dienen. Über die gesamte Zeit konnte so die Hochschulautonomie erhalten und das System weiterhin großteilig dezentral organisiert bleiben. Die Dezentralisierung konnte auch dazu genutzt werden, mehr Städte und teilweise auch Dörfer zu Hochschulstandorten zu avancieren. Für die letzten 30 Jahre lässt sich die Dezentralisierung und die darauffolgenden Neugründungen von Hochschulen wie folgt abbilden: 1989 gab es in Westdeutschland 244 und in Ostdeutschland 70 Hochschulen. 2000 konnte man bereits 350 und für das Wintersemester 2019/2020 424 Einrichtungen verzeichnen. Die Zahl der Universitäten stieg von 77 im Jahr 1989 um 130% an. Während es 1989 140 Spezial- und Fachhochschulen gab, registrierte das statistische Bundesamt im Jahr 2019 243 dieser spezialisierten Institutionen. Im Vergleich dazu: Frankreich hat heute 70 Universitäten bei einer größeren Fläche. Diese schneiden jedoch in Hochschulrankings besser als die deutschen Hochschulen ab. Wie kommt es dazu?

Die Finanzierung von Hochschulen ist in den letzten Jahren immer mehr in den Fokus der politischen Debatte gerückt. Sie lässt sich grob in die Grundfinanzierung und die Drittmittelfinanzierung einteilen – also Projekt- und Forschungsorientierte Mittel. Der Anteil der Grundfinanzierung, also der finanziellen Mittel, die einer Hochschule vor allem aufgrund ihrer Studierendenzahl gegeben werden, nimmt seit Jahren ab. Aufgrund dessen werden immer wieder Stimmen laut, die fordern, dass Universitäten besser ausfinanziert werden sollten. So hat sich auch die LHG im letzten Jahr auf ihrer Bundesmitgliederversammlung damit beschäftigt und dabei ein 2% Ziel für die staatliche Finanzierung, nachgelagerte Studiengebühren und Public-Private-Partnership Modelle als Säulen der Hochschulfinanzierung festgelegt. Die Gebäude der Hochschulen sind dringend zu sanieren, die digitale Infrastruktur muss ausgebaut werden und die Qualität von Lehre und Forschung gesichert werden. Um unsere Universitäten tatsächlich besser unterstützen zu können, müssen wir allerdings auch aufhören, neue zu bauen. Wenn man nicht in der Lage ist, die bestehenden Hochschulen zufriedenstellend auszustatten, kann man es sich nicht leisten, neue in die Hochschullandschaft einzugliedern. Trotzdem gibt es immer noch Stimmen, welche neue Universitäten und Hochschulen fordern. Ein konkretes Beispiel bietet sich in Solingen, einer circa 160.000 Einwohner starken Stadt in Nordrhein-Westfalen.

Hier haben auch Liberale im Kommunalwahlkampf gefordert, eine Hochschule zu gründen. Das Bundesland hat jedoch bereits 70 Hochschulen aller Art. Innerhalb einer Stunde Autofahrt kann man die Universitätsstädte Köln, Düsseldorf und Wuppertal sowie das Ruhrgebiet erreichen. Die Anbindung an den öffentlichen Personennahverkehr ist auch gegeben. Braucht Solingen also wirklich eine Hochschule? Oder wäre es für die Studierenden besser, wenn das undichte Dach des Hauptgebäudes an der Universität zu Köln repariert wird? Wäre es den Studierenden nicht wichtig, dass der Asbest aus allen Gebäuden entfernt wird, sodass man schwangeren Studierenden nicht mehr anraten muss, Zuhause zu bleiben? Wäre es für die Studierenden nicht förderlich, wenn man die Löcher in den Wänden des Chemie-Gebäudes entfernen könnte?

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Die Theorie der zentralen Orte des Geographen Walter Christaller, welche nach der Gründung der Bundesrepublik die Grundlage für die Raumplanung wurde, besagt, dass es drei Kategorien von Zentren gibt: das Grundzentrum entspricht einer Gemeinde, das Mittelzentrum einer kleinen oder mittelgroßen Stadt und das Oberzentrum ist eine Großstadt mit mindestens regionaler Bedeutung. Er sagt, dass die optimale Funktionsverteilung im Raum nur mit einer hierarchischen Struktur von zentralen Orten möglich ist. In einer Gemeinde braucht man die Einrichtungen des täglichen Bedarfs, beispielsweise einen Bäcker. Dieser Bäcker braucht eine Mindestzahl von potenziellen Kunden. Die Kunden nehmen allerdings nicht jede Entfernung auf sich, um diesen einen Bäcker aufzusuchen, sondern werden ihre Brötchen bei dem Bäcker mit der geringsten Entfernung zu ihrem Haus kaufen. Bei einer optimalen Raumstruktur liegen die Bäcker nun so, dass jeder potenzielle Kunde in dem Einzugsgebiet eines Bäckers liegt. Es bilden sich im Idealfall Gebiete, die sich weder zu stark überlappen noch eine Versorgungslücke bilden. In einem Mittelzentrum befinden sich jene Einrichtungen, für die wir bereit sind, einen längeren Weg auf uns zu nehmen, für die wir aber immer noch nicht zu weit fahren möchten – beispielsweise die Nahversorgung, also Supermärkte und Discounter. In den Oberzentren finden wir Einrichtungen mit einem sehr großen Einzugsgebiet, zum Beispiel eine Universität. Viele der Studierenden haben ihre Heimat verlassen, um ein Studium zu beginnen oder pendeln jeden Tag eine weite Strecke, um an den Veranstaltungen teilnehmen zu können.

Das zeigt uns, dass Universitäten und Hochschulen nicht im Bereich eines Grund- oder Mittelzentrums angesiedelt werden müssen. An dieser Stelle kommt dem Oberzentrum noch etwas anderes zu Gute, nämlich der allgemeine Bedeutungsüberschuss, was bedeutet, dass diese Stadt nicht nur die Einrichtungen mit großem Einzugsgebiet, sondern auch die beste Anbindung besitzt. Die Verkehrsanbindung von Grundzentren ist auf das nächste Mittelzentrum ausgerichtet und dessen Anbindung auf das Oberzentrum. Alle Wege führen also zum Oberzentrum. Jeder kann das Oberzentrum besser erreichen als ein Mittelzentrum, welchem er nicht zugeordnet ist.

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Kommen wir auf Solingen zurück: Solingen ist eine Großstadt und trotzdem kein Oberzentrum, da es in Nordrhein-Westfalen sehr viele größere Städte, teilweise mit Einwohnerzahlen in Millionenhöhe, gibt. Die Verkehrsanbindung ist vergleichsweise schlecht für eine nordrhein-westfälische Großstadt, da es keinen direkten Autobahnanschluss gibt und die bedeutenden Zuglinien und der Fernverkehr hier nicht halten. Wenn Solingen deswegen als Mittelzentrum klassifiziert werden kann, dann ist eine Hochschule nach Christaller hier sinnvollerweise nicht anzusiedeln. Genau das wurde allerdings in vielen Städten Deutschlands immer wieder getan, weshalb wir zu der hohen Zahl an Hochschulen und Universitäten gelangt sind. Ein Appell im Sinne der Qualität von Lehre und Forschung am Standort Deutschland: Nicht jeder Ort braucht eine Universität oder eine Hochschule. Stattdessen sollte in die Sanierung und den Ausbau der bereits existierenden Hochschullandschaft investiert werden. Den Beschluss der LHG zur Hochschulfinanzierung findet ihr hier.