Der Prozess von einer freien und toleranten zu einer unfreien und intoleranten Gesellschaft vollzieht sich meist schleichend. Als Brutstätten geistiger Freiheit dienen die Hochschulen und Universitäten als besonders aussagekräftige Indikatoren einer gesamtgesellschaftlichen Entwicklung. Wo die Tyrannei der guten Absichten ansetzt und wofür es sich zu streiten lohnt – Antworten darauf findet ihr in diesem Beitrag.


Der Zustand unserer Hochschulen macht mir Sorgen. Nicht nur äußerlich, in Form bröckelnder Gebäude auf den alten Campi und unvollendeter Projekte auf dem digitalen Neuland. Die Hochschulen selbst, als Institution, sind in Gefahr. Das besondere hieran: Nicht so sehr staatliche Mächte bedrohen die Stätten des freien Diskurses. Ausgehend von einer kleinen, aber dominanten Gruppe in den Hochschulen selbst, die sich dank der Passivität und Nachgiebigkeit des übrigen Hochschulbetriebes immer aggressiver ins Recht setzt und welche die in den Universitäten längst errungene Diskurshoheit zum Ausgangspunkt nimmt, das eigene intolerante Gedankengut in die ganze Gesellschaft zu tragen.

Dieser Entwicklung, zu der auch die spät erkannte „cancel culture“ gehört, wird noch viel zu wenig Aufmerksamkeit geschenkt. Dabei gefährdet sie schleichend jene Errungenschaften, welche unsere Hochschulen auszeichnen: Freiheit von Forschung und Lehre, Meinungsfreiheit, Vielfalt der Ideen.

Wollte ich hier die vielen Einzelteile aufzählen, die das freiheitsgefährdende Puzzle bilden, wäre dies kein Artikel, sondern der Auftakt zu einem Sammelband. Die Beispiele für die Ausladung unliebsamer Referenten, die Instrumentalisierung studentischer Ressourcen für Indoktrination und Erziehung, das Stürmen und Blockieren von unerwünschten Veranstaltungen sind Legion. Zahlreich sind auch die Belege für das Diffamieren und Einschüchtern von Hochschullehrern, das Bekämpfen und Dämonisieren jeder nicht auf der eigenen Linie liegenden (hochschul)politischen Kraft, das dogmenhafte Aufzwingen der eigenen Sprachregelungen, schließlich die offene, geistige und finanzielle, Unterstützung gewalttätiger, in aktiv-kämpferischer Weise verfassungswidriger Gruppen.

Nicht um die Nacherzählung jener Fehlentwicklungen soll es gehen, sondern um ihren ideologischen Kern, um die verlockende Botschaft, der nur wenige widerstehen. 

All diese sanften Schritte in die Intoleranz geschehen im Namen der guten Sache, im Zeichen des Fortschritts, der Freiheit und der Gerechtigkeit. Und wer sich selbst so erhöht, muss auch, mit unvermeidlicher Konsequenz, die anderen abwerten. So werden Liberale, Konservative, aber auch: Unentschlossene und Nicht-links-genug-Seiende nicht mehr als faire Gegner im politischen Meinungskampf, sondern als zu bekämpfende Feinde betrachtet: Als Anhänger von Sexismus, Rassismus und vielen Ismen mehr, kurz, als Menschenfeinde. Mag dies im Einzelfall auch bloß ein geschicktes Manöver sein, so beruht dies meist auf der ehrlichen Selbsteinschätzung und frommen Selbstgerechtigkeit der Handelnden.

Am Anfang des Weges in die Tyrannei der guten Absichten steht die Ineinssetzung von Recht und Moral. Formalen Freiheitsgarantien wird kein Eigenwert beigemessen und folgerichtig werden sie ausgehöhlt und beseitigt, wann immer sie dem moralisch Wünschenswerten entgegenstehen.

Die Redefreiheit für abstoßende oder abwegige Meinungen wird aufgehoben, ohne daran zu denken, dass, einmal als Prinzip preisgegeben, keine Meinung mehr vor der Zensur durch die jeweiligen Machthaber sicher ist. Wissenschaftsfreiheit als Gewährleistung einer Zweckfreiheit von staatlichen Vorgaben wird als Hemmnis für den gesellschaftlichen Fortschritt betrachtet, ohne zu bedenken, dass dereinst der politische Druck gerade ein reaktionärer sein könnte. Die Verachtung des formal-rechtsstaatlichen Denkens zugunsten der reinen Moral setzt zweierlei voraus: Den Glauben, stets auf der richtigen Seite zu stehen, und die Gewissheit, selbst die Entscheidung darüber fällen zu können, wer gut und wer böse ist.

Jener absolute Wahrheitsanspruch, jenes Monopol auf Gerechtigkeit zeigt sich sprachlich in der Aneignung und Umwertung aller Begriffe. Besonders deutlich ist die Verdrehung des Toleranzbegriffes: Bedeutet dies in seiner klassisch-liberalen Form das Ertragen-Können seines Gegenübers als Ausdruck von Bescheidenheit, so meint dies im modernen Sprachgebrauch die Anmaßung, vom anderen die vollständige Akzeptanz der eigenen Meinung und Position erzwingen zu können. Toleranz wird von einem Geben zu einem Nehmen umgedeutet. Freiheit ist nur die Freiheit des Gleich-, des Richtigdenkenden.

Diese Entwicklung ist nicht naturgegeben. Ihr kann aber entgegengetreten werden. Dies erfordert aber die Bereitschaft, jene klassischen Freiheiten zu verteidigen, bevor sie beiläufig verschwinden, sie erfordert den Mut, zu widersprechen, auch, wenn es unangenehm wird, kurz, sie erfordert Haltung. Sie aufzuhalten braucht Persönlichkeiten, die bereit sind, kontroverse Themen anzusprechen und anderen Meinungen eine Bühne zu bieten, auch wenn sich eine kleine, aber gut organisierte Gruppe darüber echauffiert. Und Hochschulleitungen, die ihren Professoren den Rücken stärken gegen die Anmaßungen von selbsternannten Diskurskontrolleuren.

Liberale wollen – und das unterscheidet sie von den Extremen jeder Couleur – nicht die Macht erringen, sondern sie hemmen und eindämmen. Das liberale Ideal ist nicht, in den von Zwangsbeiträgen finanzierten AStA-Seminaren Marx durch Mises zu ersetzen, sondern jene übergriffige Idee, dass die Studenten von oben im Sinne der guten Sache zu erziehen seien, überhaupt abzuschaffen. Meinungsfreiheit und Pluralismus sind für uns nicht nur taktische Argumente, solange wir in der Opposition sind, sondern die Essenz unserer Weltanschauung.

Aus diesem Grunde ist es auch eine fatale Wahnvorstellung, es gebe eine Schicksalsgemeinschaft aus Liberalen und Konservativen oder gar völkischen Kollektivisten. Für letztere sind liberale Werte nur taktische Zwischenschritte, um von der Diskurshoheit von links zur Hegemonie von rechts zu gelangen.

Um auf dem eingeschlagenen Weg hin zur Tyrannei der guten Absichten kehrt zu machen, bedarf es deshalb einer Haltung, die nicht nur vom Mut des Widerspruches gegenüber jeder Anmaßung von ewiger Wahrheit und absoluter Gerechtigkeit, sondern zugleich von Demut geprägt ist: Von der Erkenntnis, dass man selbst nicht immer richtig liegt, von dem Wissen, dass jede Freiheitseinschränkung, die man dem anderen zufügt, auch auf lange Sicht auf einen selbst zurückfallen kann, von der Gelassenheit, es hinzunehmen, dass es Menschen gibt, deren Ideen und Meinungen falsch, unangenehm, ja sogar abstoßend empfunden werden mögen – aber dennoch auszuhalten sind, um des Prinzips der Toleranz wegen.

Die Hochschulen sind ein Ort des offenen Wortes und des ungezwungenen Nachdenkens. Sie sind eine Stütze der offenen Gesellschaft, weil sie Freiräume des Denkens schaffen, in welchen Ideen wachsen und gedeihen können, welche der Allgemeinheit zugutekommen.

Es ist unsere Berufung als Liberale, diese Diskursräume offen zu halten. Denn gesellschaftlicher Fortschritt ohne geistige Freiheit ist eine kurzweilige Selbsttäuschung. Die Freiheit der Meinungsäußerung ist vielmehr Grundbedingung aller anderen Freiheiten. Und für dieses geistige Grundgerüst nicht nur der Hochschulen, sondern der freien Gesellschaft, ist der Einsatz niemals vergebens.


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Freiheitsstatue @ Gerd Altmann auf Pixabay

Säulen @ Bild von falco auf Pixabay